16.04.2015 - Der Sieg des Torhüters über den Torhüter

Aus zwickauer-fussballgeschichten..de
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Es war ein einzigartiges Duell. Im FDGB-Pokalfinale 1975 stand Zwickaus Schlussmann Jürgen Croy dem Dresdner Keeper gegenüber - und schoss den entscheidenden Treffer. 40 Jahre danach erzählt der Zwickauer, dass die Mannschaft fast bestraft worden wäre. Ein Bericht vom FSV Medienpartner "Freie Presse".

Zwickau. Es ist ein Bild für die Götter. Fast herzzerreißend. Der eine Spieler hat die Arme in die Luft gerissen. Sein Jubelschrei - man kann ihn nicht hören im weiten Stadionrund der 50.000 Zuschauer. Kaum einer versteht in diesem Augenblick sein eigenes Wort, das Spiel ist aus, die Emotionen brechen sich ihre Bahn. Der andere Spieler kniet auf der Erde, möchte sich verstecken, nichts sehen, nichts hören. Er hat den Kopf in seine Hände gelegt.

Die Aufnahme stammt von dem bekannten Zwickauer Fotografen Frank Kruczynski - und kaum ein Bild in der deutschen Sportgeschichte vermag so drastisch zu vermitteln, wie eng Triumph und Verzweiflung beieinander liegen. Datum der Aufnahme: der 14. Juni des Jahres 1975. An diesem Tag fand im Berliner Stadion der Weltjugend das Finale um den Pokal des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes statt. Als es nach 90 Minuten und Verlängerung immer noch keinen Sieger zwischen Dynamo Dresden und dem Außenseiter Sachsenring Zwickau gab, musste das Elfmeterschießen entscheiden.

40 Jahre später sitzt Jürgen Croy, der Mann, der auf dem Bild die Arme nach oben reißt, in einem Beratungsraum der Zwickauer Stadthalle, ist sportlich gekleidet, serviert den Reportern Apfelschorle. Nach seiner aktiven Laufbahn und seiner Zeit als Bürgermeister für Kultur und Sport hat Croy die Stadthalle als Chef geleitet. Jetzt lässt sich der 68-Jährige immer noch gern an seinem alten Arbeitsplatz sehen.

Zwickaus Croy war der beste Torwart der DDR, einer der besten der Welt. Und am Tag des Pokalfinales der allerletzte Mann, der an den Elfmeterpunkt musste. Daswar damals eine Sensation, ein Tormann als Schütze. "Mir waren vorher keine anderen Beispiele für so eine Konstellation bekannt", erinnert sich Croy. Er war vom Trainer schon Tage vorher als fünfter Schütze auserkoren worden, weil er zu den nervenstärksten Spielern gehörte. Sein Konkurrent im Dynamo-Tor, der sich Augenblicke später am liebsten in die Erde verbuddelt hätte, hieß Claus Boden. Wer für Dresden im Kasten stand, die Fußball-Hochburg der DDR, der war auch ein Spitzenmann. Die Dramaturgie hätte nicht besser sein können: Vorher hatten zwei Dresdner verschossen, aber nur ein Zwickauer. Verwandelt Croy, wäre Sachsenring der große Sieger.

Endlich die Entscheidung. Croy heute: "Ich habe einen großen Anlauf genommen, vielleicht sieben oder acht Meter. Ich wollte den Ball in die Mitte schießen. Aber Boden blieb ziemlich lange stehen. So habe ich mich im Bruchteil von einer Sekunde entschieden: Du schießt den Ball mit dem Innenrist flach in die rechte Ecke ..." Plötzlich zappelte der Ball im Netz. Das Bild danach kennen wir: Croy riss die Arme nach oben, der Dresdner Tormann am Boden. Die Fotos von diesem Endspiel haben hohen Seltenheitswert. Sie sind das einzige, was an Bildmaterial geblieben ist. Das Spiel wurde zwar im DDR-Fernsehen übertragen, aber die Bänder existieren nicht mehr. "Schade", ärgert sich Croy. Wie viele andere hätte er sich die Szenen gern noch einmal angeschaut.

Mit dem Sieg gegen Dresden hatten sich die Zwickauer einen Platz im Europapokal erkämpft. Damals gab es neben dem Landesmeister-Cup und dem UEFA-Cup mit dem Cup der Pokalsieger einen dritten europäischen Wettbewerb, in dem Sachsenring ran durfte. Zwickau war in der DDR als Betriebssportgemeinschaft, die nicht so unterstützt wurde wie die großen Klubs aus Dresden, Leipzig oder Magdeburg, ein Underdog. So war die Qualifikation der Sachsenring-Werker für den EC ein Affront gegen die Sportoberen - und die Zwickauer wären um ein Haar bestraft worden. "Erst später erfuhren wir, dass Funktionäre des DTSB (der staatliche Sportbund/d.R.) unseren Start verhindern wollten. Zum Glück schafften sie das nicht. Ich glaube auch, dass unsere Fans und die Arbeiter im Trabant-Werk Ärger gemacht hätten."

Was bedeutet Croy der legendäre Elfmeter-Treffer heute? "Er hat Zwickau zu einem einzigartigen Fußball-Tag verholfen. Aber ich war nicht der Held des Tages. Das war die ganze Mannschaft."

Bericht veröffentlicht in der Freie Presse am 16.04.15

-- Zurück zur Saison 2014/15