Halbfinale, Hinspiel im Europapokal der Pokalsieger 1975/1976: BSG Sachsenring Zwickau vs. RSC Anderlecht 0:3

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Spielbericht

In allen Belangen überfordert

Anderlecht-Kapitän Gilbert van Binst frohlockte: "Der Cupsieg führt nur noch über uns. Egal, wer am 5. Mai in Brüssel unser Gegner ist !" Die Überzeugung des 24jährigen teilte die ganze Profi-Elf des Royal Sporting Club am vergangenen Mittwochnachmittag. Wer Realist genug ist, um Resultat und Leistungspotential beider Halbfinalisten ohne emotionale Ressentiments zu berücksichtigen, kann zu keiner anderen Auffassung kommen. Der 67 Jahre alte RSC, 1970 Messepokal-Endspielteilnehmer, steht bei seinem 16. EC-Start nach dem 73. Spiel (34 Siege, 8 Unentschieden, 31 Niederlagen, 149:125 Tore, 76:70 Punkte) schon mit einem Bein im EC-Finale. "Das 0:3 spricht Bände. Um mehr, als um unseren guten Ruf zu rechtfertigen, können wir in Anderlecht kaum noch spielen", erklärte auch Jürgen Croy.

Wahrlich, nach dem FCK im EC I des Jahres 1967 (1:3, 1:2), wird auch Sachsenring den 16fachen belgischen Meister und viermaligen Pokalsieger in böser Erinnerung behalten. Nicht ein Grund allein, vielmehr ein ganzes Bündel, bewirkten Zwickaus erste Heimniederlage in dieser Konkurrenz, die zugleich den ersten RSC-Auswärtssieg darstellte. Das waren die Fragen, die Antworten erheischten :

1. Warum schlug der Heimvorteil im ersten Vergleich mit den Belgiern in einen Nachteil um? Wie jederman weiß, absolvierten die Westsachsen in den voraufgegangenen Runden, jeweils zuerst auswärts, ausgesprochene Defensivspiele mit dem Sinn für Konterangriffe. In der Rolle des Außenseiters, der vornehmlich den Kampf suchte, fühlte sich Zwickau pudelwohl. Da stets psychologisch stimulierende Auswärtsresultate dabei heraussprangen, versetzte der Wille, die Kampfentschlossenheit in den Rückspielen Berge. Diesmal jedoch, zur Offensive herausgefordert um eines Torvorsprunges willen, mußte Sachsenring über die individuelle technisch-taktische Ausstrahlung zur kollektiven Durchschlagskraft finden. Ob die Taktik des Gewinnens-um-jeden Preis richtig war, um am Ende alles verloren zu haben, darüber braucht hier nicht mehr debattiert zu werden. Fest steht: Die Kunst des Spiels beherrschte Zwickau nicht!

2. Warum geriet der RSC so deutlich auf die Siegerstraße? "Die Belgier wurden fast gar nicht zum Kampf gestellt", wunderte sich der 48jährige französische FIFA Referee Robert Helies aus Toulon. Und noch unverhohleneres Erstaunen spiegelte sich im Antlitz von Anderlecht-Trainer Hans Croon wider: "Wer Celtic Glasgow eliminierte, den erwarteten wir voller Leidenschaft. Statt dessen gestattete uns Zwickau, derart viel Bewegungsfreiheit, öffnete so viele Räume, daß wir mühelos unsere Beweglichkeit, Ballsicherheit und Eleganz ausspielen konnten." Mit unzureichender Tagesform ist das nicht erklärt. Physischer und psychischer Verschleiß über Wochen hinweg, im EC II wie in der Meisterschaft, forderten ihren Tribut. Intakte Kondition, ausreichende Kraft machten die vorausgegangenen Erfolge möglich. Da Zwickau allerdings selten über das Spiel, sondern stets über den auszehrenden Kampf, über ungewöhnlich hohen Energieaufwand zum Erfolg kommen mußte, lag der Tag des "Einbruchs" (wie beim 0 : 5 gegen den BFC Dynamo im Schlußspiel der 1. Halbserie) förmlich in der Luft. Deshalb: Nur konditionelle Bestform, erfolgreiche Zweikampfgestaltung wie zum Beispiel gegen Celtic Glasgow, hätte es Zwickau über den Kampf ermöglicht, Anderlechts ideenreichen Spielwitz in Grenzen zu halten. Eine müde, kraftlose Sachsenring-Elf war dazu niemals in der Lage!

,,Als wir Zwickaus geringe Widerstandskraft spürten, war, eigentlich schon alles gewonnen", so der 34jährige Routinier Jean Dockx. Abgesehen davon, daß wir ja auch unsere Auswahlerfahrungen mit den belgischen Defensivkünstlern haben, schließlich schoß die Nationalmannschaft in vier A-Spielen auch nur drei Tore gegen van Binst, Broos, Dockx, van der Elst und den diesmal pausierenden van den Daele (2. Verwarnung gegen Wrexham United), so sprach noch vieles mehr für die Belgier:

- Wohldurchdacht paarte der Klub belgische Abwehrkunst mit niederländischem Angriffsfeuer. Rensenbrink und Ressel sowie Hollands WM-Libero Haan mit der Order, als dritte Spitze im entsprechenden Augenblick zu fungieren, boten sehenswerte Angriffsfolgen. Diese drei "fliegenden Holländer" bekam Zwickau nie in den Griff. Ganz zu schweigen von van der Elst und Coeck. "Wie sie aus der relativen Ruhe explodierten, blitzschnell in den Angriff übergingen, stellte uns vor unlösbare Probleme", erklärte Hans Speth, für den erkrankten Karl-Heinz Kluge in der diesmal undankbaren Trainerfunktion. Was allein der 20jährige Coeck an Spielregie offerierte, war der gesamten Sachsenring-Mittelfeldreihe nicht gegeben.

- Anderlechts Vorlauf an internationaler Erfahrung war so gravierend, daß bis auf Croy (gegenüber Ruiter) die Belgier auf allen anderen Positionen im Vorteil waren. Nachdenkenswertes Beispiel: der 25jährige J. Schykowski mit dem bescheidenen Erfahrungsschatz von vier Oberligajahren im Duell gegen den 27jährigen Haan, bei der WM-Endrunde 74 stets in einem Atemzug mit Cruijff und Neeskens genannt! Ein Beispiel von mehreren, und alle von der gleichen Leistungsdiskrepanz.

(Quelle: Die neue Fußballwoche; Autor: Günther Simon)

Tore

0:1 van der Elst (26.), 0:2 van der Elst (38.), 0:3 Rensenbrink (67.)

Aufstellungen

BSG Sachsenring Zwickau: (Trainer: i.V. H. Speth)

Croy, H. Schykowski, Stemmler, J. Schykowski (66. Reichelt), Lippmann, Schwemmer, Leuschner (51. Nestler), Dietzsch, Blank, Bräutigam, Braun

RSC Anderlecht: (Trainer: H. Croon)

Ruiter, van Binst, Lomme, Broos, Thissen, van der Elst, Haan, Coeck, Dockx, Ressel, Rensenbrink

Schiedsrichterkollektiv

Helies, Delmere, David (alle Frankreich)

Zuschauer

36.246

Spielort

Georgi-Dimitroff-Stadion, Zwickau

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